„Der Besuch der alten Dame“ (Dürrenmatt): Entwicklung Ill, Güllener, Dramenschluss

>>“Der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt: Die Entwicklung Ills, der Güllener und der Dramenschluss

Aufgabe:
Stelle die Entwicklung Ills und die Entwicklung der Güllener in einem Text gegenüber. Beurteile außerdem das Ende des Dramas.

Ill stellt in „Der Besuch der alten Dame“ neben Claire Zachanassian die Hauptfigur dar. Zu Beginn des Stückes gehört Ill zu den Güllenern, er bildet mit ihnen ein Kollektiv, in dem alle das gleiche Schicksal, nämlich Armut haben. Ill ist im ersten Teil des ersten Aktes unter den Güllenern sehr beliebt und soll sogar Bürgermeister werden (S. 20 oben: „… die beliebteste Persönlichkeit […] Sie zu meinem Nachfolger vorzuschlagen.“). Ill ist nur deswegen so beliebt, weil er – so denken die Güllener bis dahin – der Einzige ist, der die Stadt von der Armut befreien kann. Am Ende des ersten Aktes, als Claire Zachanassian eine Milliarde für Ills Tod bietet, ist Ill noch immer in der Gemeinschaft mit den Güllenern, weil er sicher ist, dass sie ihm nichts tun würden (Der Bürgermeister lehnte das Angebot im Namen Güllens ab: S. 50 oben).
Im zweiten Akt jedoch beginnt Ills zunehmende Verzweiflung, die durch die Leihkäufe (gelbe Schuhe, Zigarren, teurer Alkohol) der Güllener herbeigeführt wird. Bei Ill entsteht dadurch nämlich der Eindruck, die Bürger rechnen schon mit seinem Tod. Die folgenden Rettungsversuche Ills beim Polizisten, beim Bürgermeister und beim Pfarrer scheitern, so dass er immer weiter auf den Wendepunkt in seiner Entwicklung zusteuert. Im Hintergrund der Rettungsversuche stehen die Balkonszenen mit Claire, die als Ausdruck des Wartens zu verstehen sind. Eine Verbindung zwischen diesen beiden „Welten“ stellt die zeitgleiche Jagd auf den Panther dar, die Ill große Angst einjagt. Mit dem Tod des Panthers, kommt es schließlich dazu, dass Ill die Flucht aus Güllen plant, um der „mordhungrigen Meute“ zu entrinnen. Als er jedoch am Bahnhof von den Güllenern zurückgehalten wird (körperlich, indem sie eine Gasse um ihn bilden und geistig, indem sie ihm immer wieder sagen, er solle gehen), scheitert dieser Versuch und Ill ist seinem Schicksal ausgeliefert. Nach einem Gespräch mit dem Bürgermeister akzeptiert er seine Schuld und will auch die Konsequenzen dafür über sich ergehen lassen. Er verabschiedet sich von seiner Familie und stirbt nach einer inszenierten Gerichtsverhandlung den Sühnetod.

Die Güllener sind zu Beginn des Stückes in der gleichen Situation wie Ill: Sie hoffen, dass Claire sie von ihrer Armut befreien wird. Sie wissen aber auch, dass nur Ill sie dazu bringen kann, da die beiden vor 45 Jahren ein Paar waren. Mit der Ankunft Claires sehen sie einer besseren Zukunft entgegen und setzen auf Ill (S. 19 unten: „… das übrige muss Ill tun.“). Als Claire im ersten Akt Ills Verrat aufdeckt, bewirkt das bei den Güllenern schon eine innere Abneigung zu Ill, die sie aber weder zeigen noch selbst wahrhaben wollen. Mit dem Angebot Claires, eine Milliarde für Ills Tod zu stiften, nimmt die Situation für die Güllener eine vollkommen andere Dimension an. Sollen sie einen Mitbürger umbringen und damit ihrer Stadt zu Reichtum und Wohlstand verhelfen? „Selbst wenn Ill schuldig ist, den Tod hat er nicht verdient“, denken sich die Güllener und lehnen das Angebot vom moralischen Standpunkt aus ab. Jedoch beginnen die Güllener im zweiten Akt damit, Ills Tod vorauszudeuten und kaufen sich Ware auf Kredit. Anfangs sind sich die Güllener noch gar nicht dessen bewusst, dass einer von ihnen Ill töten wird. Dies macht Ill ihnen immer wieder klar, u. a. bei seinem Fluchtversuch, bei dem sie beteuern, dass er in Güllen am sichersten sei. Danach wird ihnen dann klar, dass Ill sterben muss. Die Güllener -verkörpert durch den Bürgermeister- versuchen, ihn dazu zu bringen, Selbstmord zu begehen, was dieser jedoch ablehnt. Sie inszenieren also einen Schauprozess, bei dem auch die Presse anwesend ist. Anschließend lassen sie sich den Mord, den die Güllener an Ill begehen, vom Arzt als Herzschlag bestätigen. Damit sind die Güllener, im Glauben daran, der Gerechtigkeit genüge getan zu haben, in die Kriminalität abgeglitten. Die Entwicklung der Güllener fokussiert sich also im Wesentlichen darauf, dass sie eine Wandlung vom äußerlichen Verfall (Armut) zum moralischen Verfall (Mord an einem Mitbürger) durchmachen.

Das Ende des Dramas ist so zu beurteilen, dass die Güllener nur noch ihren Reichtum vor Augen haben, für den sie Claire Zachanassian dankbar sind. Sie merken jedoch noch immer nicht, dass sie jetzt ein Verbrechen begangen haben, das Verbrechen, einen Mitmenschen, der das gleiche Schicksal hatte wie sie selbst, für Geld umzubringen. Claire hat sie so manipulieren können, u. a. mit der Eröffnung der Pantherjagd (welche die Güllener gewaltbereit machte), dass die Güllener glaubten, sie würden aus Gerechtigkeit handeln (S. 124 unten). Claire hat es geschafft, sich ihre Gerechtigkeit zu kaufen. Der Tod Ills war zwar in ihrem Sinne, aber mit ihm kann die Vergangenheit und das, was Ill ihr angetan hat, nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Zusätzliche Notizen und Ideen:

Entwicklung Ills:
Akt I:

  • beliebteste Person von Güllen – Hoffnungsträger
  • ist im Kollektiv – handelt nicht selbstständig
  • verdrängt die Vergangenheit – stellt sie positiv dar
  • blickt optimistisch in die Zukunft – am Ende des 1. Aktes schockt ihn das Angebot Zachanassians
  • ist unzufrieden mit seiner Situation (Armut, Familie)
  • interessiert sich nicht für die Familie

Akt II:

  • wiegt sich zunächst in Sicherheit (ist besonders freundlich zu Güllenern und Familie) – wird dann immer misstrauischer; seine Verzweiflung/Angst nimmt zu
  • Hilfeversuche – Ill wird aktiv; glaubt an die Hilfe der Güllener
  • Fluchtversuch: erkennt, dass er auf sich selbst gestellt ist
  • spricht Dinge an; macht den Güllenern Vorwürfe
  • am Ende wird ihm seine Lage bewusst – Hoffnungslosigkeit

Akt III:

  • Ill zieht sich zurück (Zimmer), denkt über die Vergangenheit nach
  • will nicht mehr flüchten
  • findet sich mit seiner Lage ab, ist bereit zu sterben
  • nimmt seine Schuld an (Konsequenz seiner Vergangenheit)
  • nimmt Güllenern den Mord nicht ab, verweist damit auf ihre Verantwortlichkeit und Schuld
  • wird durch den Tod zum Helden (unvergesslich!)

Entwicklung der Güllener:

Akt I:

  • Armut
  • halten zu Ill
  • Hoffnung/Ill als Hoffnungsträger
  • haben moralische Werte („humanistische Tradition“)

Akt II:

  • zunehmender Konsum
  • vertrösten Ill – werfen ihm seine Vergangenheit vor; ‚ Abwertung von Ill/Aufwertung der Zachanassian
  • sind zur Gewalt bereit (Pantherjagd)
  • beobachten Ill – Misstrauen

Akt III:

  • setzen Ill psychisch unter Druck
  • Konsum nimmt weiter zu (Stadtbild)
  • Ausnahme: betrunkener Lehrer
  • Zunahme der Abwertung Ills/Aufwertung Zachanassians
  • Bürgermeister: Aufforderung zum Selbstmord (Motivation: die Güllener hätten keine Schuld)

Ende des Dramas:

  • Andeutungen auf das Ende während des gesamten Stückes
  • sinnloser und sinnvoller Tod Ills zugleich
  • unter dem finanziellen Aspekt sinnvoll
  • das Gewissen der Güllener ist nicht mehr rein (wg. Mord)
  • Güllener haben als Gemeinschaft gehandelt
  • Ill hat Urteil über sich akzeptiert
  • Güllener sehen sich als Richter
  • Ill hatte auch Unrecht getan (Ausgleichstat)

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