Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt die Stadt;
Der Nebel drückt die Dächer schwer,
Und durch die Stille braust das Meer
Eintönig um die Stadt.
Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
Kein Vogel ohne Unterlass;
Die Wandergans mit hartem Schrei
Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
Am Strande weht das Gras.
Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
Du graue Stadt am Meer;
Der Jugend Zauber für und für
Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
Du graue Stadt am Meer.
Das Gedicht „Die Stadt“ wurde von Theodor Storm verfasst, der von 1817-1888 gelebt hat. Der Leser merkt beim ersten Lesen, dass Storm in seinem Gedicht eine Stadt beschreibt, die er anfangs als negativ darstellt und dann immer mehr positive Aspekte nennt. Bei genauerer Analyse erkennt man, warum er diese Stadt so beschreibt.
Die erste Strophe beschreibt eine trübsinnige Stimmung, was besonders durch das Motiv „grau“ dargestellt wird. Dieses Adjektiv beschreibt die Umgebung der Stadt, den Strand und das Meer, und verleiht ihr dadurch einen alten, melancholischen Charakter. Die Metapher „Der Nebel drückt die Dächer schwer“ (Z. 3) verstärkt diese Stimmung zusätzlich, da die Dächer als eine Last dargestellt werden. Mit der letzten Zeile der Strophe (Z. 5) schreibt Storm sogar direkt von der Eintönigkeit.
In der zweiten Strophe werden weitere negative Eindrücke geäußert. Storm vermisst das Rauschen des Waldes (Z. 6), die Vögel im Mai (Z. 6-7) und die Wandergans, die nur im Herbst vorbeifliegt (Z. 8-9). Trotzdem wird in dieser Strophe keine trübsinnige Stimmung erzeugt, sondern eher eine ruhige unbewegliche Atmosphäre geschaffen. Diese Ruhe wird besonders durch die letzte Zeile der Strophe ausgedrückt: „Am Strande weht das Gras.“ (Z. 10)
Die letzte Strophe hebt sich deutlich von den beiden ersten Strophe ab. Hier schreibt Storm, dass er die Stadt trotz allem gern hat („Doch hängt mein ganzes Herz an dir…“; Z. 11). Als Begründung liefert er einen Satz, der als absolute Metapher zu verstehen ist: „Der Jugend Zauber für und für ruht lächelnd doch auf dir und dir…“ (Z. 13-14) Der Dichter will damit sagen, dass die Stadt zwar schon sehr alt und unansehnlich ist, aber noch immer eine Ausstrahlung hat, die ihn an vergangene Zeiten erinnert.
Die Struktur des Gedichtes ist die Bauform der Addition, Variation und Summation. Zunächst werden die negativen Seiten der Stadt aufgezählt (Addition), anschließend werden weitere negative Dinge aufgeführt, jedoch in dem Zusammenhang, dass sie vermisst werden. Zum Schluss erfolgt die Summation, d. h. die beiden ersten Strophen werden zusammengefasst und eine Steigerung erfolgt, indem der Dichter verdeutlicht, warum er die Stadt trotz der vielen negativen Seiten schätzt.
Als Metrum werden fast immer vierfüßige Jamben verwendet, nur die jeweils letzte Zeile einer Strophe (5,10,15) und die Zeile 2 bestehen aus dreifüßigen Jamben. Der Rhythmus stimmt weitgehend mit dem Metrum überein.
Storm beschreibt in dem Gedicht „Die Stadt“ eine Stadt, in der er gelebt hat und die er aufgrund seiner Erinnerungen an die Zeit, die er dort hatte, immer noch gut findet. Er schreibt in seinem Gedicht zwar nicht von seinen Erinnerungen, sondern von den negativen (äußerlichen) Eindrücken der Stadt, in der letzten Strophe hebt er aber hervor, wie wichtig ihm die Stadt ist. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass Theodor Storm gute Erinnerungen an die Stadt hat und ihm die offensichtlichen Nachteile der Stadt, die er in den ersten beiden Strophen offenkundig darstellt, eher nebensächlich erscheinen.
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