Texterörterung: „Brutaler Bildschirm“ (Ulrike Frenkel)

Textgrundlage: „Brutaler Bildschirm“ (Ulrike Frenkel) aus: Stuttgarter Zeitung vom 20.02.1993

Einleitend beginnt die Verfasserin mit einem Beispiel aus dem Schulunterricht, in dessen Rahmen eine Lehrerin über die Gewaltfantasien ihrer Schüler bestürzt war („Ich stelle mir vor, ich sei ein Messer und schlitzte dir den Hals auf.“, Z. 4 f.). Frenkel stellt es als Tatsache hin, dass das Fernsehen für aggressives und brutales Verhalten verantwortlich gemacht werde, weil es entsprechende gewaltverherrlichende und auch obszöne Programme zeige. Dabei fragt sie nach einer möglicherweise überschrittenen „Toleranzschwelle […] einer permissiven Medienpolitik“ (Z. 11) und berichtet über die Art derart strittiger Programminhalte wie „Schlächtereien“ oder „schmierigen Sexprogrammen“ (Z. 14). Welche Auswirkungen zum Beispiel Reality-TV haben könne, sei an einem entsprechenden Vorfall in den USA belegbar, bei dem ein Mann seine Frau vor laufender Kamera erschoss. Weiterhin versucht Frenkel mit einem Beispiel zu überzeugen, bei dem Skinheads aufgrund „medial vermittelter Realität“ (Z. 22) gegen Ausländer gewalttätig wurden.

Für die Autorin stellt sich hierbei die Frage, wie die Realität attraktiver sein kann als das in den Medien vermittelte Leben. Während Erwachsene noch selbst über das Anschauen von Gewalt entscheiden könnten, glaubt die Autorin bei Kindern eine Überforderung zu erkennen. Gefahren sieht sie vor allem in der psychischen Belastung der Kinder, die durch sexualisierte Brutalität im Fernsehen und damit einhergehende Enttabuisierung bestimmt sei.

Ulrike Frenkel kommt schließlich zu der Auffassung, dass die Medien zwar nicht uneingeschränkt die Schuld für die Gewaltzunahme bei Jugendlichen zugeschrieben bekommen sollten, sie aber zumindest Verantwortung tragen würden und die psychische Belastbarkeit ihrer größten Zielgruppe bedenken müssten.

Auch wenn ihr Urteil letztlich recht eindeutig ausfällt und ihre Forderung, die Gewaltdarstellung in den Medien zu reduzieren, deutlich wird, so bleibt festzustellen, dass sich die Autorin unter Verwendung rhetorischer Mittel an Behauptungen heranwagt. Zumeist formuliert sie ihre Thesen nämlich in Form von rhetorischen Fragen, die der Leser sich grundsätzlich selbst beantworten kann („Werden aber Kinder […] seelisch nicht maßlos überfordert?“, Z. 25 f.). Der Gebrauch dieses Schemas setzt sich kontinuierlich fort und immer folgt einer solchen Frage ein Beispiel oder aber ein Argument (vgl. Z. 23 ff.: „Erwachsene…“). Bei der Wahl der Argumente verwendet die Autorin größtenteils Faktenargumente, die jeweils Beispiele für soeben aufgestellte Thesen liefern. Auch ein Autoritätsargument findet in ihrem Argumentationsstrang Verwendung (vgl. Z. 23 ff.), allerdings lassen sich die „Vertreter einer grenzenlosen Medienfreiheit“ (Z. 23) von einer solchen „Autorität“ höchstwahrscheinlich nicht überzeugen.

Stilistisch lässt sich der Text als gut verständlich einordnen, da ein Abdriften in soziologische Fachsprache größtenteils vermieden wird und er dadurch ein breites Publikum anspricht. Die Wortwahl ist weitgehend frei von extremen Übertreibungen, trotzdem fällt die Verwendung dramatisierender („blutrünstigen Gruselschocker […] vor Angst schreiend im Bett wälzte“, Z. 28) oder negativer Formulierungen auf („Schlächtereien und schmierige Sexprogramme“, Z. 14). Die Wirkung der genannten Situationen wird dadurch noch intensiviert und der Leser mehr auf seiner emotionalen Ebene angesprochen. Bestimmte Bilder werden dadurch vor dem geistigen Auge des Lesers erzeugt, die seine Einstellung möglicherweise beeinflussen. Durch Stichworte wie „Medienpolitik“ (Z. 11), „Reality-TV“ (Z. 16), „Meinungsfreiheit“ (Z. 23) oder „Liberalismus“ (Z. 42) assoziiert der Leser sofort zahlreiche öffentliche Diskussionen oder Fälle, die sich auf die Fragestellung im Text übertragen lassen. Eines dieser Assoziationsfelder, Medienpolitik, lässt sich beispielsweise mit zahlreichen Fallbeispielen aus der Presse (Erfurt, Schülergewalt in den USA, Gewalt-Talkshows) in Verbindung bringen.

Der Einsatz dieser Assoziationen hervorrufenden Begriffe erfolgt sinnvoll und zwar dann, wenn die eigenen Erfahrungen durch noch extremere Beispiele übertroffen werden (vgl. Reality-TV, Z. 16 ff.).

Der Meinung Ulrike Frenkels, die Medien hätten „eine Verantwortung gegenüber der nachwachsenden Generation“ (Z. 39 f.), kann ich mich grundsätzlich anschließen, da auch ich überzeugt bin, dass gerade jüngere Kinder – aber auch Jugendliche – psychisch zu gering belastbar sind, um sich in großem Maße Darstellungen von Gewaltextremen auszusetzen, die sie im Fernsehen oder auch im Internet erwarten. Sicherlich sind die Medien nicht der einzige Faktor für zunehmende Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen, denn immer wirkt hier auch das soziale Umfeld auf den Einzelnen ein, das aus Schule, Freundeskreis und Familie besteht.

Die ungefilterte Aufnahme von Gewaltdarstellungen ist aber für Jüngere insofern gefährlich, als dass sie Dargestelltes nicht beurteilen können. Das Umfeld wirkt hier durch möglicherweise bereits vorhandene Gewalt im Elternhaus oder bei älteren Schülern ein, indem die im Fernsehen visualisierten Aggressionen eine Vorbildfunktion bekommen und zum Nachahmen animieren. Unter der Verantwortung für die Medien verstehe ich deshalb, bei der Programmgestaltung dieser Anfälligkeit für Ungefiltertes, Unkommentiertes Rechnung zu tragen. Das wiederum bedeutet nicht, dass Zeitgeschehen etwa verharmlost oder gar völlig zensiert werden soll. Eltern und Schule sollten schon früh mit Gewaltprävention beginnen – entsprechende pädagogische Konzepte im Rahmen von Unterricht oder Projekten sind schließlich bereits vorhanden. Und letztlich wäre auch hier ein Einbringen der Medien denkbar, wenn es um die Vermittlung von Anti-Gewalt-Konzepten geht, etwa in der Form, dass Anreize für die Jugendlichen geschaffen werden, beispielsweise Sport- und Freizeitaktivitäten in der Jugendarbeit wieder stärker gefördert und den Kindern und Jugendlichen zugänglich gemacht werden. Darin, so glaube ich, sollte Medienkompetenz begründet sein.

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